Konzeptionelle Grundlagen

Der Arbeitsbereich Jugend und Schulden des Schuldnerfachberatungszentrums umfasst vier Schwerpunkte:

Ein wichtiger Bestandteil bei der Umsetzung des neuen Arbeitsschwerpunktes wird die Adressat*innenforschung sein. Ziel dieses Forschungsvorhabens ist einerseits aufzudecken, welche Ursachen Überschuldung aus Sicht der betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben. Andererseits soll die Einstellung und der Umgang von Jugendlichen mit Geld untersucht werden. Zentral ist dabei, welche Deutungsmuster die Untersuchungsteilnehmer*innen selbst bezüglich Geld und Schulden anführen, damit wirksame Präventionskonzepte hieran anknüpfen können. Insgesamt soll die Alterspanne von Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 14 bis 25 Jahren erfasst werden. Dabei werden zwei Altersgruppen klassifiziert, die sich wesentlich voneinander unterscheiden, die 14 bis 17 Jährigen und die 18 bis 25 Jährigen. Nur die zweitgenannte Gruppe ist nach deutschem Recht unbeschränkt geschäftsfähig und kann somit rechtwirksam Schulden machen. Jugendliche unter 18 Jahren werden deshalb in Statistiken nicht erfasst, auch wenn sie de facto ebenfalls vielfach von Verschuldung betroffen sind. Dies geschieht dann allerdings in der Regel nicht direkt im wirtschaftlichen Geschäftsverkehr, sondern innerfamiliär und im Verwandtschafts- bzw. Freundeskreis.

Soll der Überschuldung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen wirksam begegnet werden, so müssen sich Hilfekonzepte bereits an Personen am Anfang des Jugendalters richten und diese in ihrer Lebenswelt erreichen. Um entsprechende Konzepte weiter zu entwickeln, möchte das Schuldnerfachberatungszentrum untersuchen, welche Einstellungen Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren zu Geld und Konsum haben. Es soll danach gefragt werden, welche Bedingungen, wie etwa gruppendynamische Prozesse der Peergroup, Einfluss auf das Konsumverhalten und die Einstellung der Jugendlichen zu Geld prägen. Dabei gilt es, nicht nur kognitive Erklärungsmuster herauszuarbeiten, sondern auch die damit einhergehenden emotionalen Beweggründe und normativen Orientierungen zu analysieren. Ebenso gilt es die bedeutsamen strukturellen Bedingungen, die Jugendüberschuldung fördern bzw. entgegenwirken, zu beleuchten. Methodisch sollen Gruppendiskussionen und teilnehmende Beobachtung angewendet werden, da sich die Interviewform nicht für diese Altersgruppe eignet. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen dann dazu dienen, Komponenten der Selbsterfahrung und Gruppenreflexion in Interventions- und Präventionskonzepte mit aufzunehmen, um einer rein kognitiven Ausrichtung der Hilfen entgegen zu wirken.

Bisherige Studien zur Jugendverschuldung konnten zeigen, dass gerade in der Phase des Übergangs in die Selbstständigkeit zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr ein erhöhtes Risiko besteht, in eine Überschuldungssituation zu geraten. In dieser Altersspanne werden junge Menschen vor eine Reihe von Entwicklungsaufgaben gestellt, häufig kommt es zum Auszug aus dem Elternhaus und dem schrittweisen Aufbau einer selbstständigen Lebensführung. Im Rahmen der geplanten Forschungsarbeit soll untersucht werden, welche Bedeutung Schulden für junge Erwachsene haben, die sich im Übergang in die Eigenständigkeit befinden. Es soll analysiert werden, welche Personen, Institutionen und Bedingungen den Verlauf der Überschuldungssituation aus Sicht der Betroffenen beeinflussen und wie diese überindividuellen Faktoren gedeutet und in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Im Zentrum dieses Forschungsschwerpunktes steht die Frage, welche Funktion Schulden in der Bewältigung des Übergangs ins junge Erwachsenenalter haben. Um diese Zusammenhänge zu analysieren, soll die Methode des narrativen, biographischen Interviews zum Einsatz kommen. Interviewt werden Personen im Alter von 18 bis 25 Jahren, teilweise handelt es sich hier um Klient*innen von Schuldnerberatungsstellen. Durch die Wahl des narrativen, biographischen Interviews ist es möglich, auch Bedingungen aus früher Jugend und Kindheit zu identifizieren, die Auswirkungen auf den Verlauf der Überschuldungssituation haben. Ziel der Forschungsarbeit ist es, die vorhandenen Hilfekonzepte fachlich fundiert zu ergänzen und neue Hilfeformen entwickeln zu können.

Jugendliche und junge Erwachsene sind in unterschiedlichste Institutionen eingebunden, von deren Fachkräften sie begleitet werden und die bei verschiedenen Problemlagen Unterstützung leisten können. Schulsozialarbeiter*innen, Professionelle der Jugendarbeit aber auch Lehrer*innen spielen eine nicht unerhebliche Rolle im Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und sind wichtige Ansprechpartner*innen. Um schon im Vorfeld Jugendliche vor Überschuldung zu schützen, sind es gerade diese Personenkreise, die erste Unterstützung in schwierigen Situationen leisten oder an andere Helfer*innen verweisen können. Aus diesem Grund möchte das Schuldnerfachberatungszentrum im Rahmen des Schwerpunktes Jugend und Schulden untersuchen, welche Erklärungs- und Deutungsmuster Professionelle aus diesem Bereich bezüglich des Themenfeldes Jugendverschuldung anführen. Darüber hinaus ist es wichtig zu erfahren, in welche Hilfenetzwerke sie bereits eingebunden und wie konkrete Unterstützungsleistungen und -netzwerke der Professionellen gestaltet sind. Methodisch soll dies mit Hilfe von teilstrukturierten Expert*inneninterviews umgesetzt werden. Die zu entwickelnden Konzepte sollen dann an diese Deutungsmuster und Hilfenetzwerke anschließen und dazu beitragen, sie kritisch zu hinterfragen sowie weiterzuentwickeln. Die Verknüpfung der Perspektiven aus der Adressat*innenforschung und Professionalitätsforschung versprechen neue Zugänge in der Entwicklung von Ansätzen, die der Komplexität des Gegenstandsfeldes gerecht werden können.

Zielgruppen im Bereich der Professionalitätsforschung sind Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Professionen des psychosozialen Arbeitsfeldes, Professionelle der Sozialen Arbeit und aus dem Bildungssystem. So sind beispielsweise Schulsozialarbeiter*innen in ihrer Arbeit regelmäßig mit der Überschuldungsthematik konfrontiert, ohne dass sie dabei einen speziellen Auftrag für die Bearbeitung dieser Probleme hätten. Aber auch andere Professionelle der Sozialen Arbeit werden mit der Thematik betraut, wie etwa Sozialpädagog*innen in der Kinder- und Jugendhilfe, sei es in stationären oder teilstationären Einrichtungen, aber auch in Ämtern und Beratungsstellen. Aber auch Institutionen an der Schnittstelle zu anderen gesellschaftlichen Funktionsbereichen wie dem Gesundheitssystem (z.B. Suchtberatung) und der Justiz (z.B. Häuser des Jugendrechts, Bewährungshilfe) sind hier im Blick. Dabei gilt es zunächst, die bestehenden Hilfenetzwerke zu eruieren und zu identifizieren, welche Akteur*innen mit Jugendüberschuldung professionell befasst sind. Lehrer*innen, aber auch Berater*innen von psychosozialen Beratungsstellen sind mögliche Zielgruppen, die befragt werden sollen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, ob die Problematik der Überschuldung bereits im Blickfeld des professionellen Handelns ist und wie bei Bedarf damit umgegangen wird. Durch Expert*inneninterviews sollen die Deutungs- und Handlungsmuster in Kontrastierung zu den Forschungsergebnissen aus der Adressat*innenforschung analysiert werden. Hier stellt sich etwa die Frage, inwieweit integrierte Schuldnerberatung in anderen Beratungsfeldern umgesetzt wird, wie eine Verweispraxis zu Schuldnerberatungsstellen oder Kinder- und Jugendberatungsstellen funktioniert und ob und wie sich die Überschuldungsproblematik in den Hilfekonzepten der relevanten Institutionen widerspiegelt. Ein Abgleich der verschiedenen Perspektiven soll dazu beitragen, professionelle und hilfreiche Handlungsoptionen zu identifizieren, zu profilieren und weiterzuentwickeln.

Die Ergebnisse im Bereich der Adressat*innen- und Professionalitätsforschung sollen in die Entwicklung von Präventions- und Interventionskonzepten eingehen. Dabei werden einerseits Inhalte, die auf kognitiver Ebene Wissen über Finanzangebote und finanzielle Zusammenhänge vermitteln, Beachtung finden. Vor allem aber sollen erfahrungs- und erlebnisorientierte Konzepte und Methoden entwickelt werden, die Jugendliche und junge Erwachsene auch auf emotionaler Ebene für das Themenfeld sensibilisieren. Um auch an anderer Stelle entstandene Forschungsergebnisse und bereits entwickelte Präventionsangebote für die Erarbeitung neuer Konzepte nutzbar zu machen, sollen diese dokumentiert und in einer Datenbank systematisch kategorisiert werden.

Die sich stärker beschleunigenden gesellschaftlichen Entwicklungen führen dazu, dass immer mehr Kompetenzen in einer komplexer werdenden Gesellschaft benötigt werden, die von den herkömmlichen Sozialisationsinstanzen nicht mehr ausreichend vermittelt werden können. Insofern stellt sich die Frage, wie diese modernen Kulturtechniken im Sinne einer Grundbildung von jungen Menschen erlernt werden können. Um eine Lücke im Bereich der finanziellen Bildung zu schließen, wurde 2006 das Konzept „finanziell fit" vom SFZ zunächst für die Zielgruppe junger arbeitsloser Menschen unter fünfundzwanzig Jahren (U25) entwickelt und im Rahmen arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen durchgeführt. Schon bald wurden Module von finanziell fit aber auch für die Familienbildungsarbeit weiterentwickelt und 2011 aktualisiert mit dem Schwerpunkt Jugendliche / junge Erwachsene. Das Bildungskonzept umfasst Themen wie Haushaltsplanung und Kontoführung, Versicherungen und Sparmöglichkeiten, Kredite und Überschuldung sowie Mahnverfahren und die damit verbundene Krisenbewältigung. Weitergebildet werden dabei professionelle Multiplikator*innen im psychosozialen Feld und im Bildungssystem, aber auch Ehrenamtliche in lokalen Bündnissen und Netzwerken, die wiederum Familien, Jugendliche und junge Erwachsenen zu den genannten Themen sensibilisieren und weiterbilden. Dieses Bildungskonzept soll auch für andere Bereiche und unterschiedliche Zielgruppen weiterentwickelt und durch zusätzliche Module bzw. Konzepte ergänzt werden. So ist geplant, in Schulen die vorhandenen Materialien zu nutzen und für fächergreifenden Unterricht anzupassen und fortzuschreiben. Eine multimediale Aufbereitung der Unterlagen einschließlich der Entwicklung von internetbasierten Planspielen wird angestrebt.

Die Etablierung von Bildungskonzepten, die vor allem auf Wissensvermittlung und Kompetenzen in finanziellen Fragen ausgerichtet sind, reicht nicht aus, um den sozialpädagogischen Fragestellungen der Überschuldungsproblematik in ihren unterschiedlichen Facetten gerecht zu werden. Deshalb bedarf es bei Präventions- und Interventionsansätze noch stärker erfahrungsbasierter Zugänge zum Themenkomplex Geld und Konsum. In sozialpädagogischen Handlungsfeldern, wie Jugendtreffs und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe, soll diese methodische Ausrichtung verankert werden. Junge Menschen sollen dazu befähigt werden, eigenverantwortlich (Konsum-)Entscheidungen zu treffen, nachdem sie ihre Bedürfnisse und eigenen Konsummuster bewusster kennengelernt haben. Auch Fragen nach der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und Beziehungsgestaltung durch Geld und Konsum werden dabei fokussiert. Die Konzepte dieses Themenfeldes können sowohl von psychosozialen Beratungsstellen genutzt werden als auch in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit, in denen Überschuldung konzeptionell nicht zentrales Thema ist. Insgesamt gilt es bewährte Hilfeansätze zu identifizieren und eine fachlich fundierte Weiterentwicklung mit Hilfe der genannten Forschungsvorhaben voranzutreiben. Dabei werden die Konzepte zielgruppenspezifisch aufbereitet.

Im Rahmen des Projektes "Ohne Geld geht gar nix... Jugendliche in der Konsumgesellschaft" wurde eine methodische Handreichung für die Arbeit mit Schüler*innen zu den Themen Geld und Schulden entwickelt. Das Methodenhandbuch sowie weitere Informationen zum Projekt und unseren Grundgedanken sind hier verfügbar.

Die Ergebnisse der Forschungsbausteine sowie die entwickelten Präventions- und Interventionskonzepte sollen in der Praxis etabliert werden, damit schon im Vorfeld Jugendverschuldung vermieden werden kann. Die Erkenntnisse sollen dabei in die Arbeit der spezialisierten und integrierten Schuldnerberatung einfließen, aber auch in die Bereiche unserer Gesellschaft, in denen die Thematik bislang noch nicht angemessen wahrgenommen wird. Ziel ist es, das Thema weiter zu enttabuisieren und in verschiedensten Handlungsfeldern bearbeitbar zu machen. Professionelle unterschiedlichster Bereiche im sozialen Feld und im Bildungsbereich sollen sensibilisiert und daran anknüpfend unterstützt werden, ihre Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sowie ihre Handlungskompetenz zu erweitern.

Auf Bundes- und Landesebene gibt es eine große Zahl von staatlichen Stellen und freigemeinnützigen Einrichtungen und Verbänden, die zur hier vorgestellten Thematik anschlussfähig sind. Dies gilt insbesondere für den psychosozialen Bereich und das Bildungssystem. In Bezug auf Jugendüberschuldung sollen unterschiedlichste Behörden, Organisationen und Verbände eingeladen werden, sich an der Weiterentwicklung von Bildungs,- Interventions- und Präventionskonzepten in einem gemeinsamen Netzwerk zu beteiligen. So werden bereits vorhandene überregionale Strukturen und Kompetenzen genutzt, um der Jugendüberschuldung aktiv zu begegnen. Die internen Kommunikationskanäle der verschiedenen Beteiligten können dazu beitragen, bei Mitarbeiter*innen unterschiedlichster Bereiche auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Mit Hilfe von Multiplikator*innenweiterbildungen und Netzwerkkonferenzen werden in unterschiedlichsten Funktionsbereichen Mitarbeiter*innen qualifiziert, die dann für ihre Kolleg*innen bereichsspezifische Ansprechpartner*innen zum Thema Jugendüberschuldung sind.

In den Regionen vor Ort soll an bestehende Hilfenetzwerke und Unterstützungsformen angeknüpft werden. Hier geht es darum, die örtlichen Gegebenheiten zu nutzen und anschlussfähige Personen in unterschiedlichen Einrichtungen für das Themenfeld Überschuldung zu sensibilisieren und zu qualifizieren. Das ist beispielsweise möglich in der Zusammenarbeit mit Verbänden, den Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe, mit Trägern der Arbeitsförderung, mit den regionalen Bündnissen für Familie, mit Familienzentren und Mehrgenerationenhäusern, aber auch mit Schulen, Bildungs- und Beratungseinrichtungen vor Ort. Hier gilt es die bestehenden Netzwerke aufzufinden und anzusprechen. Ziel ist es, dass in Bezug auf Jugendüberschuldung nachhaltige Kooperationsstrukturen aufgebaut werden, die fachgerechte Information, Bildung, Prävention und Intervention auch in der Fläche des Landes ermöglichen.