Erlass von Beitragsschulden nach Inanspruchnahme von Leistungen durch die gesetzliche Kranken-versicherung

Der Erlass von Beitragsschulden in der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nicht per se voraus, dass der Unversicherte im Nacherhebungszeitraum keine Leistungen in Anspruch genommen hat.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.03.2019 – L 1 KR 58/17

Sachverhalt:

Der Schuldner war seit dem 01.10.2011 pflichtversichert nach § 5 I Nr. 13 SGB V. Im November 2011 nahm er eine zahnärztliche Leistung in Höhe von 45,90 € in Anspruch, die von der Krankenkasse übernommen wurde. Im Mai 2012 gab der Schuldner eine Anzeige über Pflichtversicherung bei der Krankenkasse ab. Diese setzte infolgedessen Beiträge für die Zeit von Oktober 2011 bis Dezember 2011 fest und erhob für den rückwirkenden Zeitraum Säumniszuschläge. Der Schuldner übersandte im Dezember 2013 eine „Erklärung zum Erlass von Beiträgen“ an die Krankenkasse und erklärte, dass er während des Nacherhebungszeitraums keine Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch genommen habe, bzw. auf eine Kostenübernahme verzichte. Diese wurde seitens der Krankenkasse mit der Begründung abgelehnt, dass der Schuldner Leistungen der Krankenkasse in Anspruch genommen habe, sodass die Voraussetzungen für den Erlass von Beitragsschulden nicht gegeben seien.

Entscheidung:

Das LSG sprach dem Schuldner den Erlass der Beitragsschulden und Säumniszuschläge bis zu einem Betrag von 45,90 € zu. Die Voraussetzungen für einen Erlass würden sich aus § 256a I SGB V ergeben. Der Schuldner habe seine Versicherungspflicht im Mai 2012 angezeigt, somit vor dem 31.12.2013. Es würde eine Ungleichbehandlung vorliegen, wenn die Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenkasse einen Erlass insgesamt ausschlösse, die Inanspruchnahme von Leistungen außerhalb des Sachleistungsverfahrens einen Erlass nicht ausschlössen. Gem. § 256a) I SGB V solle die Krankenkasse, die für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beiträge angemessen ermäßigen, wenn ein Versicherter seine Versicherungspflicht erst nach einem der in § 186 SGB V genannten Zeitpunkte anzeige. Angefallene Säumniszuschläge sollten erlassen werden, wenn die Anzeige der Versicherungspflicht bis zum 31.12.2013 erfolgt sei. Somit sei eine Verpflichtung zum Erlass vorgesehen. Unschädlich sei in diesem Zusammenhang, dass der Schuldner eine zahnärztliche Leistung in Anspruch genommen habe. Sinn und Zweck der Vorschrift sei, dass die Krankenkasse Beiträge nur dann erlassen sollte, wenn dem keine Behandlungskosten mehr gegenüberstehen würden. Es mache keinen Unterschied, ob zunächst dem Versicherten Kosten durch eine ärztliche Behandlung entstanden seien oder ob bereits Sachleistungen abgerechnet worden seien, der Versicherte die Kosten der zu Unrecht erhaltenen Leistungen der Kasse rückläufig erstatte. § 256a) SGB V schließe nicht per se bei jeder tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme einen Erlass aus. Außerdem liege die Höhe der Ermäßigung nicht im Ermessen der Krankenkasse. Die Beitragsschulden seien in einem angemessenen Umfang zu ermäßigen. Unangemessen sei es dem Schuldner den Erlass von rund 1.300 € zu versagen, wenn er lediglich Sachleistungen im Wert von 45,90 € in Anspruch genommen habe. Die Anreizfunktion des § 256a) SGB V bestünde darin für eine Vielzahl Unversicherter Krankenversicherungsschutz herzustellen und ziele nicht auf die Beitragsoptimierung der Krankenkasse ab.

Bedeutung für die Beratungspraxis:

Das Urteil stellt klar, dass ein Erlass von Beitragsschulden auch dann noch in Betracht kommt, wenn die unversicherte Person im Nacherhebungszeitraum Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen hat und den in Anspruch genommen Betrag der Krankenkasse zurückerstattet.

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