Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO bei nichterfülllten Verträgen

Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters aus § 103 InsO ist nur dann anwendbar, wenn unerfüllte Hauptleistungspflichten im Gegenseitigkeitsverhältnis zueinanderstehen.

BGH, Urteil vom 16.05.2019 – IX ZR 44/18

Sachverhalt:

Die Auftraggeberin beauftragte die Schuldnerin im März 2006 mit der Planung und Errichtung einer Pflegeeinrichtung. In dem Vertrag wurde vereinbart, dass die Leistungen in mehrere selbstständig gesondert abzunehmende und abzurechnende Teilleistungen aufgeteilt werden. Am 1. November 2007 fand eine Teilabnahme des Bauvorhabens statt. Dabei behielt sich die Auftraggeberin eine Liste an Mängeln vor. Die Mängelliste wurde seitens der Schuldnerin nicht anerkannt und infolgedessen auch keine Nachbesserungsarbeiten durchgeführt. Die Auftraggeberin hatte zu diesem Zeitpunkt die volle Vergütung bereits an die Schuldnerin gezahlt. Am 30.April 2012 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Auftraggeberin begehrte später gegenüber dem Insolvenzverwalter der Schuldnerin, die Feststellung eines Kostenvorschusses zur Beseitigung der Mängel zur Tabelle.

Entscheidung:

Die Voraussetzungen eines Wahlrechts i.S.d. § 103 InsO hätten im maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht vorgelegen. Ist zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein gegenseitiger Vertrag zwischen Schuldner und dem anderen Teil nicht oder nicht vollständig erfüllt, könne der Insolvenzverwalter den Vertrag gem. § 103 InsO erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil verlangen. Wenn der Insolvenzverwalter die Erfüllung ablehne, könne die andere Partei eine Forderung wegen Nichterfüllung, gem. § 103 II InsO nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahren habe die Schuldnerin ihre Pflichten aus dem Vertrag noch nicht vollständig erfüllt, es seien mindestens beseitigungsfähige Mängel vorhanden gewesen. Die Auftraggeberin habe ihre Pflicht, die vereinbarte Vergütung zu erbringen, zu diesem Zeitpunkt bereits erfüllt. Die alleinige, noch ausstehende Pflicht der Abnahme der bisher nicht erbrachten Nachbesserungsarbeiten eröffne nicht den Anwendungsbereich des § 103 InsO. Die Pflicht zur Abnahme einer Mängelbeseitigungsleistung stelle eine vertragliche Nebenpflicht dar, die mit den Hauptpflichten der Schuldnerin, insbesondere mit deren Pflicht zur Herstellung eines mangelfreien Werkes, nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehe. Ein solches Gegenseitigkeitsverhältnis sei nur dann anzunehmen, wenn sich Hauptleistungspflichten gegenüberständen. Die Abnahme stelle neben der Vergütungspflicht eine Hauptpflicht der Auftragsgeberin dar, dies beziehe sich jedoch nicht auf die Abnahme einer Mängelbeseitigungsleistung.

Bedeutung für die Beratungspraxis:

Wird über das Vermögen einer Vertragspartei das Insolvenzverfahren eröffnet, verliert der Vertrag seine Durchsetzbarkeit, bleibt aber weiterhin bestehen. Der BGH stellt mit dem Urteil klar, dass der § 103 InsO nur dann anwendbar ist, wenn Schuldnerin und Auftraggeberin ihre aus dem Vertrag resultierenden Pflichten noch nicht vollständig erfüllt haben. Problematisch war diese Voraussetzung für die Pflicht der Auftraggeberin zur Abnahme der Nachbesserungsarbeiten, da sie die vereinbarte Vergütung schon bezahlt hatte. Die Pflicht zur Abnahme der Nachbesserungsarbeiten stelle keine gegenseitige Hauptleistungspflicht dar, sodass § 103 InsO im vorliegenden Fall nicht anwendbar war. Der BGH führte hierzu weiterhin aus, dass das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO dazu diene bei gegenseitigen Verträgen den Vertragspartner zu schützen. Es solle dem Insolvenzverwalter aber vor allem ermöglichen, einen günstigen Vertrag zum Vorteil der Masse auszuführen.

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