Vollstreckungsschutz nach § 765a) ZPO für auf dem Konto der Verlobten eingehende Sozialleistun-gen

Die Schutzvorschriften des § 765a) ZPO und § 850k) ZPO sind nebeneinander und unabhängig voneinander anwendbar.

LG Berlin, Beschluss vom 08.04.2019 – 84 T 321/18

Sachverhalt:

Der Schuldner lebte zusammen mit seiner Verlobten in einer Bedarfsgemeinschaft, der Leistungen nach dem SGB II bewilligt wurden. Die Zahlungen des Jobcenters wurden auf das Konto der Verlobten überwiesen, da der Schuldner selbst über kein eigenes Konto verfügte. Über das Vermögen des Schuldners wurde nachfolgend das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter forderte in einem Schreiben, adressiert an die Verlobte auf, das auf den Schuldner entfallende Arbeitslosengeld II dem Insolvenzkonto zuzuführen. Infolgedessen beantragte der Schuldner für die auf dem Konto seiner Verlobten eingehenden Sozialleistungen Vollstreckungsschutz nach § 765a) ZPO zu gewähren oder die Sozialleistungen entsprechend § 850k II Nr. 1b) ZPO pfändungsfrei zu stellen.

Entscheidung:

Das LG gewährte dem Schuldner Vollstreckungsschutz nach § 4 InsO, § 765a) ZPO gegen den Insolvenzverwalter. Würden laufenden Sozialleistungen auf Weisung des Schuldners an einen Dritten, wie hier die Verlobte des Schuldners überwiesen, sei Pfändungsgegenstand nicht die Sozialleistung, sondern der Anspruch des Schuldners gegen den Dritten auf Auszahlung des treuhänderisch vereinnahmten Geldes. Vollstreckungsschutz könne nach den Vorschriften der § 4 Inso, § 765a) ZPO gewährt werden, soweit andere Vorschriften, die dem Schutz des Schuldners dienen erschöpft seien oder nicht in Betracht kämen. Die Schutzvorschriften der §§ 36 Inso, 850c) ZPO und § 850i) ZPO seien im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da die Vollstreckung weder das Arbeitseinkommen des Schuldners nach § 850c) ZPO, noch seine sonstigen Einkünfte nach § 850i) ZPO betreffe. Auch die Schutzvorschriften des §§ 54 IV SGB I, 850 ff. ZPO seien nicht einschlägig, da der Anspruch auf Auszahlung der auf das Konto eines Dritten gezahlten Sozialleistung, selbst keine Sozialleistung sei. Auch der § 850k) ZPO könne dem Schuldner keinen Schutz gewähren, da er kein eigenes Pfändungsschutzkonto unterhalte. Im Umkehrschluss dürfe jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der § 765a) ZPO nicht greife, wenn der Schuldner kein Pfändungsschutzkonto eingerichtet habe. Die Schutzvorschriften des § 765a) ZPO und des § 850k) ZPO seien nebeneinander und unabhängig voneinander anwendbar. Dabei ziele der § 765a) ZPO auf Vollstreckungsschutz und der § 850k) ZPO auf Pfändungsschutz ab. Die Pfändung des Anspruchs des Schuldners gegen seine Verlobte auf Auskehr des Arbeitslosengeldes II stelle ihm gegenüber eine unangemessene Härte dar, sodass die Voraussetzungen des § 765a) ZPO erfüllt seien. Durch die Überweisung des Geldes auf das Konto der Verlobten liege auch keine Verfügung zugunsten eines außenstehenden Dritten vor. Sie stelle lediglich eine Verwaltungsvereinfachung dar, indem das Jobcenter Leistungen die der Bedarfsgemeinschaft zuständen lediglich an eine Person überweise. Es stelle gegenüber den Insolvenzgläubigern auch keinen unverhältnismäßigen Nachteil dar, wenn der Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen seine Verlobte nicht zur Insolvenzmasse gezogen werden könne, da die Leistungen des Jobcenters das Existenzminimum des Schuldners sichern würden, die in voller Höhe dem Pfändungsschutz unterlägen.

Bedeutung für die Beratungspraxis:

In dem Beschluss bestätigt das LG Berlin die bereits vom BverfG getroffene Entscheidung, dass die Schutzvorschriften des § 765a) ZPO und § 850k) ZPO nebeneinander anwendbar sind und sich nicht gegenseitig ausschließen. Insbesondere wird durch den Beschluss deutlich, dass auch für Leistungen, die dem Schuldner zustehen, aber nicht auf sein Konto fließen, Pfändungsschutz bestehen kann.

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